Kennt ihr das, wenn die Kinder ziemlich "geladen" von der Schule nach Hause kommen? Wenn es nur eine Kleinigkeit braucht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen? Oder wenn der Vulkanausbruch bereits in vollem Gange ist, wenn die Kinder an der Haustüre klingeln?
Wir hatten vor kurzem so eine Phase, bei der beinahe jedes Mittagessen zur Zerreisssprobe unserer Nerven wurde. Kaum war eines der Kinder Zuhause, begann es in der Luft zu knistern und wenn sich dann das zweite Kind dazu gesellte, sprühten die Funken bzw. flogen die Fetzen. Irgendwie sind wir immer tiefer in diese Situationen geschlittert, obwohl ich einiges ausprobiert hatte, um eine Eskalation zu verhindern: jedoch ohne Erfolg - logischerweise!
Weshalb "logischerweise"? Weil ich unbewusst reagiert hatte, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was gerade abläuft in den Köpfen und vor allem in den Herzen unserer Kinder. Die meisten Mütter und Väter haben im Laufe ihres Eltern-Seins solche oder ähnliche Reaktionen - und bemerken, dass diese nicht wirklich hilfreich sind:
- Ich habe sie gefragt, warum sie denn so oft streitend nach Hause kommen.
- Ich habe versucht, sie abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen.
- Ich habe versucht, an ihre Vernunft zu appellieren.
- Ich habe ihnen Vorschläge gemacht, wie sie ihre Streitereien auf dem Schulweg anders lösen könnten.
- Ich habe ihnen zwischen dem Nachhause-Kommen und dem Mittagessen eine kleine Pause eingeräumt, damit jeder zuerst Zeit für sich hatte.
Nun aber von Anfang an: Kinder senden uns verschlüsselte Botschaften - oder eben Codes - wenn sie mit einem Problem konfrontiert sind. Diese Codes können verbal geäussert werden (zum Beispiel: "De ..... isch sooooo gemein!!!") oder auch nonverbal (zum Beispiel: trauriges Gesicht). Unsere Aufgabe als Eltern ist es nun, diesen Code zu erkennen und ihn zu entschlüsseln versuchen. Das gelingt uns am besten, wenn wir uns fragen, welches GEFÜHL wohl hinter dieser Botschaft stecken könnte.
Durch dieses Entschlüsseln helfen wir unserem Kind, sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu werden. Es ist gut möglich, dass dadurch erst recht die Tränen fliessen oder dass die Wut einen Höhepunkt erreicht - und das darf auch sein. Emotionen sind da, um gespürt und anerkannt zu werden. Wie schön, wenn wir in diesen Momenten für unsere Kinder da sind und ihre Gefühle annehmen, ohne ihnen diese abzunehmen. Unsere Kinder dürfen erkennen, dass es angenehme und auch unangenehme Gefühle gibt (anstatt: gute und schlechte Gefühle) und sie erfahren, dass keines dieser Gefühle von Dauer ist.
Wollt ihr wissen, wie es bei uns weiter ging, nachdem ich mir diese Sache mit dem Code wieder einmal in Erinnerung gerufen habe? Lest selbst:
Tochter kommt die Treppe hoch gerannt und schreit: "Ich habe den doofsten Bruder der ganzen Welt!"
Ich: "Oh, er nervt dich gerade mega fest."
Tochter: "Ja, er hat über den ganzen Schulplatz gerufen, ich soll auf ihn warten und dann ist er hinter meinen Freundinnen und mir her gerannt. Ich laufe doch nicht mit einem 1. Klässler nach Hause!"
Ich: "Es ist dir peinlich, mit deinem kleinen Bruder zusammen zu laufen - du läufst viel lieber mit deinen Freundinnen nach Hause."
Tochter: "Ja, ist doch klar..." - zieht Schuhe und Jacke aus und geht in die Wohnung.
In diesem Moment kommt unser Sohn schluchzend nach Hause.
Ich: "Du bist enttäuscht, dass du nicht mit deiner Schwester nach Hause laufen konntest, gell?"
Sohn: "Ja!" - tritt mit dem Fuss gegen das Treppengeländer - "Sie wartet nie auf mich! Sie rennt mit ihren Freundinnen einfach davon und lacht mich aus."
Ich: "Es macht dich richtig wütend, wenn sie das macht."
Sohn: "Ja..." - zieht seine Schuhe und Jacke aus und geht in die Wohnung.
Anschliessend hatten wir eine völlig entspannte und friedliche Stimmung beim Mittagessen.
Manchmal kann ich es selber kaum fassen, wie wirkungsvoll dieses aktive Zuhören sein kann - und wenn es gelingt, ist es einfach etwas vom Wunderbarsten, das es gibt. Probiert es doch aus und schreibt in die Kommentare, wie es bei euch lief.
www.redeweise.ch
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen