Montag, 19. August 2019

Der (Anti-)Stressball







Neulich sahen wir im Einkaufszentrum bei uns in der Nähe ganz süsse Anti-Stressbälle. Einen davon kaufte sich unsere Tochter mit ihrem Sackgeld und freute sich über die lustigen Grimassen, die er machte, wenn sie ihn knetete.

Zuhause angekommen wurde das Spiel mit dem Anti-Stressball immer wilder: sie und ihr Bruder zogen ihn in die Länge und dann wieder in die Breite, sie formten ihn zu einer Schale und drückten ihn anschliessend zu einer Kugel zusammen. Ich konnte es nicht unterlassen und machte die beiden darauf aufmerksam, dass das womöglich doch etwas zu viel Stress sei für den armen Ball.

Die beiden wollten meine Worte nicht hören... und so kam es, wie es kommen musste: Dem Ball wurde es zu viel und er kapitulierte unter den Händen unserer Kinder. Der Anti-Stressball wurde zum Stressball und verteilte sich über den gesamten Zimmerboden unserer Tochter.

In solchen Momenten muss ich jeweils tief durchatmen und mich innerlich beruhigen, denn es ist schon ziemlich nervig, wenn genau das eintritt, was ich befürchtet hatte - und zwar genau dann, wenn das Abendessen auf dem Herd brutzelt und eigentlich keine Zeit für solche Dinge ist.

Zuerst gab es natürlich allerlei Geschrei. Unsere Tochter war entsetzt, dass ihr Anti-Stressball kaputt ging und in ihrem Zimmer eine riesige Sauerei verursacht hatte. Unser Sohn war wütend, weil er sich zu unrecht beschuldigt fühlte, den Ball absichtlich zerstört zu haben. Ich verzichtete darauf, mich einzumischen oder sogar für einen der beiden Partei zu ergreifen - ich war einfach da und beobachtete aus der Küche, wie die beiden ihr Problem lösen werden. Und tatsächlich: nach kurzer Zeit beruhigten sich die Gemüter und sie machten sich gemeinsam daran, die Bestandteile des Anti-Stressballs zusammen zu wischen, zu staubsaugen und einzusammeln. 

Später kam unsere Tochter zu mir und sagte, dass ihr Bruder ihr nun einen neuen Ball kaufen müsse, weil er ihn ja kaputt gemacht hatte. Auch hier entschied ich nicht, ob dies richtig oder falsch war, sondern ich versuchte sie mit einer Gegenfrage zu spiegeln und sagte: "Du denkst, dass der Ball noch ganz wäre, wenn du alleine damit gespielt hättest?" Da wurde sie nachdenklich und sagte schliesslich: "Nein, wenn ich ehrlich bin, wäre er bei mir vermutlich auch kaputt gegangen... vielleicht einfach erst morgen." Ich tröstete sie mit einer Umarmung - kurz darauf ging sie wieder spielen und war völlig entspannt.

Am Abend stand ich am Hochbett unseres Sohnes und wir plauderten über den vergangenen Tag. Da kam ihm diese Anti-Stressball-Geschichte in den Sinn und er sagte zu mir: "Ich wollte den Ball wirklich nicht kaputt machen, ich habe ihr einfach alles nachgemacht... vielleicht könnte ich ihr einen meiner Gummibälle schenken, damit sie nicht mehr so traurig ist?" Was für eine schöne Idee...

Als wir letzthin wieder an diesen Anti-Stressbällen im Einkaufszentrum vorbei gelaufen sind und unsere Tochter ganz wehmütig einen in die Hand nahm, blieb ich bei ihr stehen. Sie schaute mich an und meinte: "Wenn ich mir wieder einmal so einen Ball kaufe, werde ich ihn nicht mehr sooooo fest auseinander ziehen - und ich werde das meinem Bruder auch sagen!"

Nun, es ist eine kleine alltägliche Geschichte, welche in ähnlichem Rahmen in jeder anderen Familie stattfinden könnte. Früher hätte ich vermutlich anders reagiert, ich wäre wütend geworden und hätte (unbewusst) die Situation zu meinem Problem gemacht. Durch mein (bewusst passives) Verhalten, habe ich unseren Kindern ein Übungsfeld gegeben, selber Verantwortung zu übernehmen und ihr Problem gemeinsam zu lösen. Jeder von ihnen hat für sich etwas gelernt und ist gestärkt aus dieser Situation hervor gegangen.


www.redeweise.ch
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel


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